Ein Wort zum Tag

Dankbarkeit - wie ein Schneepflug
Nicht schon wieder dieses Gesülze von Dankbarkeit. Sicher nicht jetzt. Sicher nicht mitten in der grössten gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und gesundheitlichen Krise, die die westliche Welt nach dem Zweiten Weltkrieg erlebt. Sicher nicht während Corona.
Doch. Gerade jetzt. Jetzt erst recht! Wer in guten Zeiten dankbar ist, leistet weiss Gott nicht übermässig Grosses. Dankbarkeit ist besonders dann nötig, wenn alles gegen sie spricht, wenn sie schwierig ist, wenn sie uns alles abverlangt. Denn Dankbarkeit relativiert. Dankbarkeit justiert meinen Blick. Dankbarkeit bringt mein Herz und meine Gedanken zurück zum Wesentlichen.
Vor allem aber: Dankbarkeit bahnt mir einen Weg durch die Schwierigkeit. So zumindest verstehe ich meinen Lieblingsvers (Psalm 50,23): “Wer Dank opfert verherrlicht mich und bahnt sich einen Weg. Ihn werde ich das Heil Gottes sehen lassen.“ Ich stelle mir das sehr bildlich vor: Vor mir liegt ein scheinbar undurchdringbarer Wall von Widrigkeiten. Wie ein Schneepflug fährt die Dankbarkeit kraftvoll da rein und schiebt die mühsamen Massen weg. Stück für Stück. Sie bahnt mir einen Weg.
Es stimmt natürlich: In anspruchsvollen Zeit ist Dankbarkeit tatsächlich wie ein Opfer. Ich muss mir den Blick auf das “Trotzdem” regelrecht abringen – den Blick auf das, was trotzdem schön ist, wertvoll, bereichernd. Liebe zum Beispiel. Und Freundschaft. Und Menschen, die es gut mit mir meinen und mich auch mit meinen schwierigen Seiten aushalten.
Es stimmt vermutlich doch: “Nicht der Glückliche ist dankbar, sondern der Dankbare ist glücklich.” Manchmal sind die banalsten Weisheiten die entscheidenden.
Pfr. Harald Ratheiser