Ein Wort zum Tag

Gott verändert sich. Zumindest unser Bild von Gott. Und das ist auch gut so. Als Kind hörten wir vom “lieben Gott”. Er war wie ein weiser, ruhiger, netter Grossvater mit weissen Haaren und langem Bart. Er machte alles gut. Und dass alles gut wird. Vor allem aber beschützte er uns – und vermutlich auch unsere Katze, unser Meerschweinchen, unseren Kanarienvogel.
Wenn später die Frage aufkommt: Glaubst du an Gott?, steckt nicht selten dieses kindliche Gottesbild dahinter. Wenn man dann mit “Ja” antwortet, wird man entsprechend mitleidig belächelt. Denn ein aufgeklärter Verstand kann mit einem solchen Gott nichts anfangen. Und ehrlich gesagt: Ich auch nicht. Weil ich kein Kind mehr bin. Mein Gottesbild hat sich gewandelt. Ich vermute sogar: Auch Gott kann mit diesem Gottesbild nicht viel anfangen.
Aus dem lieben Grossvater wird mit zunehmendem Alter vielleicht ein Gegenüber, das durchaus personal gedacht werden kann. Andere denken sich Gott abstrakter, z.B. als Wahrheit oder Liebe, als Sinn der Welt, als Kraft des Lebens, als tragender Grund. Wenn ich mit Leuten über solche Gottesvorstellungen rede, verschwindet das mitleidige Lächeln, das Interesse wächst, die Diskussion wird angeregt. Schnell wird klar: So weit weg ist der Gedanke an Gott den meisten Menschen gar nicht. Weniger mit Gott haben etliche ihre liebe Mühe, sondern mit dem alten, kindlichen Gottesbild. Und das zurecht. Weil kindliche Gottesbilder in unsere Kindheit gehören. Als Erwachsene müssen wir neue Gedanken, neue Bilder, neue Vorstellungen versuchen.
Das ist eine Herausforderung ohne fixen Endpunkt, nie werden wir sagen können: Heureka – ich hab’s gefunden, jetzt weiss ich es! Gott ist und bleibt ein Mysterium. Gerade deshalb lohnt es sich, der Frage nach Gott nicht auszuweichen. Sie bereichert uns, führt uns in die Tiefe unseres Herzens, auf den Grund unseres Menschseins. Denn womöglich trifft die alte chassidische Erzählung den Punkt gar nicht so schlecht: “Ich gebe dir einen Gulden, wenn du mir sagst, wo Gott ist. – Und ich gebe dir zwei Gulden, wenn du mir sagst, wo Gott nicht ist.”
Pfr. Harald Ratheiser