Ein Wort zum Tag
Ist eigentlich immer alles gut mit Gott im Rücken? Haben wir stets alles im Griff? Parieren wir jede Schwierigkeit mit Leichtigkeit? Natürlich nicht. Es wäre eine grösse Lebenslüge, so etwas zu behaupten. Gott hat nicht versprochen, uns vor allen Problemen der Welt zu bewahren. Etwas ganz anderes hat Gott uns zugesagt: Bei uns zu sein, jeden Augenblick, egal wo wir sind und wie es uns geht, insbesondere dann, wenn sich das Leben von der düsteren Seite zeigt.
Gott ist nicht ein beschönigtes Hirngespinst, nicht ein süsser Selbstbetrug, nicht eine billige Beruhigungspille (vgl. das Gedicht unten). Gott ist vielmehr ein realistischer Lebensbegleiter. Nicht mehr. Aber auch kein bisschen weniger.
Pfr. Harald Ratheiser
Wislawa Szymborska: “Werbeprospekt” in: Deshalb leben wir, S. 82-83
Ich bin die Beruhigungstablette.
Ich wirke zu Hause,
habe Erfolg im Amt,
setze mich zum Examen,
stelle mich der Verhandlung,
klebe exakt die zerschlagenen Krüge zusammen –
Nimm mich nur ein,
lass mich zergehen unter der Zunge,
schluck mir nur runter,
spüle mit Wasser nach.
Ich weiss, wie dem Unglück begegnen,
die schlechte Nachricht ertragen,
die Ungerechtigkeit mindern,
das Nichtvorhandensein Gottes erklären,
den kleidsamen Trauerhut wählen.
Was zögerst du noch –
vertraue dem chemischen Mitleid.
Noch bist du jung,
du solltest dich einrichten, denn
wer sagte,
man müsse das Leben tapfer durchleben?
Gib mir deinen Abgrund –
ich überbrücke ihn mit Schlaf,
du wirst mir dankbar sein
für die vier Pfoten des Fallens.
Verkauf mir deine Seele:
Andere Käufer findest du nicht.
Andere Teufel gibt es nicht.